Umworbene Lehrstellensuchende

Kantonaler Gewerbeverband St.Gallen
14.04.22
Autor/in: Simone Zuberbühler
Weil es weniger Jugendliche gibt und diese häufiger ins Gymnasium gehen, können rund 10 000 Lehrstellen nicht besetzt werden. Besonders unbeliebt sind Ausbildungen für Berufe mit langen Arbeitszeiten oder körperlich harter Arbeit. Jugendliche begeistern sich deshalb kaum für Berufe auf dem Bau oder in der Nahrungsproduktion. Der KGV bietet Hand und lancierte die Lehrstellenbörse, damit die Jugendlichen eine Anschlusslösung finden.

Die Schweiz ist in vieler Hinsicht ein Glückskind. Ganz besonders glücklich kann sich das Land schätzen, wenn es um die Jugendarbeitslosigkeit geht. Die Jugendlichen sind in einer komfortablen Situation. Gemäss dem Lehrstellenbarometer des Bundes kommen auf 78 000 interessierte Jugendliche 81 500
Lehrstellen. Für die Lehrbetriebe ist diese Situation natürlich weniger erfreulich. Fest steht: Viele Betriebe müssen ohne Lehrling auskommen. Statt vom Lehrstellenmangel ist heute vom Lehrlingsmangel die Rede. Rund 10 000 Ausbildungsplätze blieben letztes Jahr unbesetzt. Das hat zwei Hauptgründe: die Demografie und der Trend hin zum Gymnasium. Sprich: Von den immer weniger werdenden Jugendlichen machen immer weniger eine Lehre. Rund 75 000 Lehrverträge werden in der Schweiz jedes Jahr abgeschlossen. Diejenigen für die beliebten Lehrstellen sind bereits Ende des Vorjahres unterschrieben. Die zukünftigen Lernenden und die Lehrbetriebe machen sich gleichsam ein kleines Weihnachtsgeschenk und starten mit einer Sorge weniger ins neue Jahr. Bis im März/April des Folgejahres sind dann rund 60 Prozent aller Lehrverträge unter Dach und Fach. Wegen dieser Entwicklung verschärft sich der Kampf um die besten Lehrlinge unter den Unternehmen. Das einst propagierte «Gentlemen’s Agreement»,
keine Lehrstellen vor dem 1. November des Vorjahres zu vergeben, ist heute kein Thema mehr. Die Jagd nach den Jugendlichen beginnt also schon 12 Monate vor Lehrbeginn.

Die Baubranche ist am stärksten betroffen

Unbeliebt sind vor allem Berufe, bei denen harte körperliche Arbeit zur Norm gehört, die einen tiefen sozialen Status haben oder die Arbeitszeiten mit sich bringen, die sich schwer mit einem aktiven Sozialleben vereinbaren lassen. Dazu zählen zum Beispiel Berufe der Baubranche und der Coiffeur
beruf. Im Mittelfeld sind die Verkaufsberufe angesiedelt, die eine durchschnittliche Anzahl offener Lehrstellen aufweisen. Dort liegt das Hauptproblem im geringen Unterschied zwischen den Löhnen von Gelernten und Ungelernten – teils macht er nur 200 bis 300 Franken im Monat aus. Da fragen
sich manche Jugendliche, warum sie eine Ausbildung zum Lehrlingslohn machen sollen. In der Informatik, bei den Finanzdienstleistern, in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen wiederum gibt es einen Lehrstellenmangel. Unterschiede bestehen nicht nur zwischen den Branchen, sondern auch innerhalb. Bei den Pflegeberufen etwa ist die Ausbildung zur Fachangestellten Gesundheit (FaGe) beliebt, diejenige zur Fachangestellten Betreuung eher nicht. Gründe für Letzteres sind die vergleichsweise tiefen Löhne und die geringen Aufstiegsmöglichkeiten. Corona hat die Lehrstellensituation ziemlich durcheinandergewirbelt. Bei vielen Lehrbetrieben herrscht Unsicherheit darüber, welche Lehrstellen sie in naher Zukunft anbieten werden. So wussten gemäss «Nahtstellenbarometer» des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation mehr als ein Viertel der Lehrbetriebe im Juli 2021 noch nicht,
ob sie 2022 die Anzahl ihrer Lehrstellen beibehalten würden. Bereits gestrichen wurden Lehrstellen in der Tourismusbranche und im Gastgewerbe, wo sich gleichzeitig weniger Jugendliche bewerben, zumal Schnupperlehren schwieriger waren.

Höhere Lehrlingslöhne nützen nur wenig

Wie können sich die Unternehmen hier von der Konkurrenz abheben? Höhere Löhne seien kein Thema, sagen alle angefragten Unternehmen. Man halte sich an die Richtlöhne der jeweiligen Branche. Die meisten der Unternehmen nennen ihren guten Ruf als wichtiges «Verkaufsargument». Sowohl die
Branchenverbände wie auch die einzelnen Lehrbetriebe vermögen nur wenig gegen den Lehrlingsmangel auszurichten. Die Löhne für die Lernenden anzuheben, ist als zweischneidiges zu betrachten. Man bringt zwar mehr Jugendliche dazu, Verträge zu unterschreiben, aber es kommt auch zu mehr Ausbildungsabbrüchen. Gleiches gilt für Weiterbildungsmöglichkeiten: Sie bringen zwar mehr Lernende, aber ein Grossteil fehlt dort, wo sie eingesetzt werden sollten, wenn sie sich höher qualifizieren.

Weniger in der Warteschlaufe

Im kaufmännischen Bereich ist das Interesse nach wie vor gross: In keinem Bereich bleiben weniger Lehrstellen unbesetzt. Das macht die Lehrstellensuche für die Jugendlichen angenehmer, wie das Lehrstellenbarometer des Bundes zeigt. So müssen deutlich weniger Jugendliche ein Zwischenjahr ein
schalten, bis sie die angestrebte Lehrstelle finden. Und: Die Zahl der verschickten Bewerbungen ist in den letzten Jahren gesunken. Zuletzt mussten die Jugendlichen im Schnitt noch zwölf Bewerbungen schreiben. Bei eieinem knappen Drittel reichte gar eine einzige Bewerbung aus.

KGV geht in die Offensive: Online Lehrstellenbörse Ostschweiz
«Der Lehrlingsmangel ist für viele Branchen ein grosses Thema», hält Felix Keller, Geschäftsführer des Kantonalen Gewerbeverbandes St.Gallen (KGV), fest. Deshalb hat der Verband in Zusammenarbeit mit dem Amt für Berufsbildung St.Gallen im Frühling 2021 die Lehrstellenbörse Ostschweiz ins Leben gerufen. Eine Onlineplattform, die Jugendliche und Unternehmen vernetzt. «Die Lehrstellenbörse ist ein Motivator für die Jugendlichen und animiert sie Anschlusslösung zu finden», führt Felix Keller aus. Zwischen Oktober und Mai finden immer am letzten Mittwoch des Monats die Lehrstellenbörsen statt. Die Jugendlichen erhalten über die Plattform eine aktuelle Übersicht über die offenen Lehrstellen in der Region. Sie können ganz einfach einen Termin buchen und erhalten via E-Mail die Gesprächsbestätigung mit dem Link zum Onlinemeeting. Monatlich sind über 260 Lehrstellen ausgeschrieben. Es finden jeweils zwischen
70 und 90 Gespräche statt. Die nächsten Lehrstellen börsen finden am 27. April und 25. Mai 2022 statt.
www.lehrstellenboerseost.ch

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